Wenig Freizeit, harte Arbeit und hoher Druck von allen Seiten: Immer mehr Schweizer Höfe müssen unter anderem wegen fehlenden Nachfolgern aufgegeben. Was motiviert einen jungen Menschen in der Landwirtschaft zu arbeiten? Der 19-jährige Joel lebt und arbeitet auf einem Kälberaufzuchtbetrieb in Graubünden – und wusste schon früh, was er vom Leben möchte. Ich habe Joel begleitet und ein Buch erstellt.
Interview mit Joel: Siehe unten


















Welche Bedeutung hatte die Landwirtschaft in deiner Kindheit?
Für mich war die Landwirtschaft immer wichtig. Ich sah es schon immer so: Jemand muss Essen produzieren. Von irgendwo muss es kommen. Mit neun Jahren hatte ich eigene Schafe, kurz darauf noch Zwergziegen. So bin ich irgendwie hineingewachsen. Ich wollte Verantwortung übernehmen, die Schafe gehörten schon meinen Eltern, aber nur noch auf dem Papier. Den Bezug zu den Tieren hatte ich schon immer.
Was sind deine Aufgaben auf dem Hof?
Auf dem Hof kümmere ich mich um die Tiere, füttere sie, melke, miste aus, im Sommer steht Feldarbeit wie mähen oder heuen an. Je nach Betrieb gibt es vor allem im Frühling, Sommer und Herbst viel Arbeit auf dem Feld. Der Winter ist etwas ruhiger. Da kann man auch mal sagen, das mache ich morgen. Das geht im Sommer nicht, wenn es z.B. am nächsten regnet.
Wie ist das Team aufgebaut, in dem du arbeitest?
Hauptsächlich sind der Chef und ich gemeinsam am Arbeiten. Ansonsten arbeiten die Tochter und der Freund der Tochter noch auf dem Hof. Sie werden den Betrieb zum Ende des Jahres übernehmen.
Wie war deine Ausbildung aufgebaut?
Man kann eine Ausbildung Richtung Biolandbau machen, ansonsten kann man Schwerpunkte über die die Betriebe auswählen. Man wechselt jedes Jahr den Lehrbetrieb, die Landwirtschaft ist so vielfältig, da gibt verschiedene Richtungen und so kann man unterschiedliches ansehen und wohnt auch meist auf dem Betrieb. In den ersten zwei Jahren hat man einen Tag pro Woche Schule und im dritten Lehrjahr hat man fast den ganzen Winter Blockschule und wohnt in der Regel im Internat.
Um wie viele Kühe kümmerst du dich?
Momentan sind es zwölf Kühe, zusätzlich mit Kälbern und Rindern um die 30. Zu Hause habe ich eine eigene Kuh mit Kalb. Ich mag Tiere sehr und arbeite gerne mit ihnen zusammen. Meine Welt sind vor allem die Mutterkühe, da fühle ich mich Zuhause.
Wann beginnt dein Tag und wie lange geht er?
Heute bin ich gegen viertel nach vier aufgestanden. Heute Abend werde ich bis etwa halb acht arbeiten und dann relativ schnell wieder ins Bett, damit man morgens wieder aufstehen kann. Morgens und Mittags machen wir eine Essenspause.
Was motiviert dich, morgens aufzustehen?
Zum einen die Vielseitigkeit in meinem Beruf. Ich mache von morgens bis abends selten das Gleiche. Es ist immer wieder ein Wechsel, über das ganze Jahre gesehen sowieso. Aber auch zu sehen, wie die Tiere wachsen und gedeihen motiviert mich.
Ist noch Zeit für Freizeit?
Ich habe im Vertrag momentan 55 Stunden die Woche. Das sind am Tag zehn Stunden und Samstags ein halber Tag. Das ist in der Landwirtschaft in der Regel so, wie auch schon in meiner Ausbildung. Je nachdem, was am Tag anstand, kann man am Abend noch etwas machen. Aber wenn man länger arbeiten muss, ist das auch nicht so tragisch. Wenn ich zu Hause bin, gehe ich gerne in der Werkstatt oder zu den Tieren, alles was mit Landwirtschaft zu tun hat. Urlaub mache ich offiziell nicht. Ich fahre entweder nach Hause oder irgendwo auf eine Tagung, aber wirklich Urlaub mache ich höchst selten.
Was gefällt dir an deinem Job nicht?
Es gibt halt schon mal Phasen wo man denkt, muss das jetzt sein? Ich würde lieber etwas anderes machen. Aber der Job ist sehr vielseitig und alles ist irgendwann erledigt und dann kann man etwas anderes machen.
Wann hast du dich entschieden, eine Ausbildung zum Landwirt zu machen?
Ich habe immer gesagt, ich will irgendwann mal Feuerwehrmann werden, aber als es wirklich ernst wurde, war es dann irgendwie logisch, dass ich Landwirt werden will. Ich wusste es dann einfach. Meine Eltern haben immer gesagt, ich soll eine zweite Lehre machen, als weiteres Standbein. In der Ausbildung hatte ich drei unterschiedliche Lehrbetriebe. In nächster Zeit steht bei mir das Militär und die Lehre zum Zimmermann an. Am liebsten würde ich zuküftig im Stallbau arbeiten und früher oder später mal einen Betrieb übernehmen, eventuell den Betrieb meiner Eltern.
Wie siehst du so die Situation von kleineren Höfen in der Schweiz?
Ich denke, es wird immer kleine Höfe geben, vor allem im Berggebiet. Die Frage ist, was ist klein? Ich denke die Betriebe werden immer größer und die Relationen werden sich verschieben.
Wirft man einen Blick auf die Anzahl der Höfe in den letzten zwanzig Jahren, ist diese stark rückläufig. Was sind Gründe für das Höfesterben in der Schweiz?
Zum einen sind es die Nachfolger, die ausbleiben. Zum anderen werden viele Betriebe zusammengeschlossen. Und auch ein Punkt, der relevant ist: Die Selbstmordrate der Bauern ist sehr hoch. Es ist halt schwierig, wenn alles immer noch günstiger und billiger werden soll und auf der anderen Seite Umwelt- und Tierschutzvorschriften Regeln vorgeben. Die kleinen Betriebe geben sich Mühe, aber vieles sind teure Anschaffungen. Ich arbeite momentan nicht auf einem Biohof, der Betrieb meiner Eltern ist aber ein Biohof mit Bio-Swiss Standard.
Was wären potenzielle Lösungen?
Wichtig wäre eine Änderung der Direktzahlungspolitik. Wer mehr Land hat, bekommt mehr Direktzahlungen. Wenn Land frei wird, wird viel Land “zusammengehamstert” und nicht gut bewirtschaftet. Das finde ich schade. Je größer, desto schwieriger ist es, den Überblick zu behalten auch im Bezug auf das Tierwohl.
Was müsste passieren, damit der Hof auf dem du arbeitest ein Bio-Hof wäre?
Bio bezieht sich vorallem Futterzukauf. Es gibt nur sehr wenige biologische Mittel, die mit der Spritze ausgebracht werden können und die zugelassen sind, synthetische Mittel sind verboten. Tiere auf einem Biohof haben mehr Platz, aber ich denke da ist mein Chef sehr nah dran. Das EU-Biosiegel, muss ich ehrlich sagen, finde ich einen Witz. Bio Swiss hat weltweit die höchsten Standarts.
Wie siehst du die Zukunft der Landwirtschaft in Europa?
Politisch gesehen sehe ich die Zukunft momentan nicht gerade rosig. Wir brauchen ein Zusammenspiel aus der Bevölkerung, der Politik und der Landwirtschaft, damit wir uns auch weiterentwickeln können. Aber so wie es momentan aussieht, zum Teil frage ich mich da schon, was läuft da falsch?
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